Ein kleener Ort

Montag, 25.06.2018

Nachts starker Regen, morgens alles nass, aber kein Niederschlag mehr. Die längste Tagesetappe der Reise wird zurückgelegt, etwa 500 km, im Wesentlichen nach Westen. Unterwegs ein kurzer starker Gewitterguss, nachtschwarz mit Hagel, ansonsten Schauer und Sonne im Wechsel bei 8 bis 14 ºC. Einmal kreuzte ein Fuchs vor dem Auto die Fahrbahn. Die lange Fahrt war geeignet, die Hälfte von "Die Säulen der Erde" zu hören; das Hörbuch ist so gut, dass es von der Landschaft ablenkt.

Vom Southern Yellowhead Highway ging es über den Little Ford Highway und den Cariboo Highway nach Williams Lake und von dort 260 km lang strikt nach Westen auf dem Highway 20 (Chilcotin Bella Coola Highway), dieser zunehmend einsamer werdend. Der Landstrich heisst Chilcotin, eine Hochebene auf etwa 900 mNN, eher hügelig mit einzelnen Viehfarmen und unberührter Wildnis. Manche halten es für das ECHTE Kanada. Riesig große Waldflächen waren abgebrannt (traurig anzusehen), was nach einer Informationstafel jährlich bis zweijährlich erfolgt.

Tagesziel ist die Terra Nostra Ranch in dem kleenen Kleena Kleene. Das Navi kannte diesen Ort, nur tauchte er auf den Entfernungsschildern nicht auf. "Sie haben Ihr Ziel erreicht." tönte das Navi mitten im Busch, weit und breit keine Häuser. Nach einigen Kilometern Weiterfahrt kam der Gedanke zur Umkehr, als neben der Straße der One Eye Lake auftauchte, der in der Wegbeschreibung eingetragen war. Plötzlich stand an der Straße das kleine Ortsschild von Kleena Kleene, und nach weiteren 7 km kam das Einfahrtstor zur Terra Nostra Ranch.

Der Zufahrtsweg ist mit Toren abgesperrt, damit die zur Ranch gehörenden 23 Pferde und zwei Ponies nicht entlaufen können. Auch sehen sich sechs Katzen als Besitzer des Hauses an und es laufen zwei Hunde herum. Bei der Anfahrt wurde das letzte Tor auf dem Weg von Christoph, dem Gastgeber, geöffnet. Christoph und seine Frau Corinne sind Schweizer, die die Gästeranch gemeinsam mit der jungen Kati, zwei weiteren Mädchen und dem Koch Michael betreiben, alle sehr herzlich, das Gastwirtepaar schwyzerdütsch sprechend. Der Schweizer Michael, geboren 1972, jünger aussehend, verheiratet, drei Töchter zwischen 16 und 22 Jahren, war fünf Jahre als Volksschullehrer in der Schweiz tätig, arbeitet seitdem gemeinsam mit einem Partner als Berufsberater und hat sich in Absprache mit seiner Familie, die auch in der Schweiz lebt, eine Auszeit von einem Vierteljahr genommen, in dem er mit seinen Hobbykochkenntnissen auf der Terra Nostra Ranch die Gäste bekocht. Zu seinen Klienten zählen einige Schulen in der Schweiz, die über einen Etat verfügen, aus dem Aufträge an Berater gezahlt werden können. Michael begleitet über 20 Junglehrer als Mentor, deren häufigste Probleme im Umgang mit schwierigen Schülern (an erster Stelle) und danach mit schwierigen Eltern bestehen.

Alle duzen sich und es wird gemeinsam gegessen.

Die Zimmer sind einfach, aber sauber, hellhörig, nicht zu verdunkeln, ohne Rauchmelder; am Waschbecken braucht das warme Wasser ziemlich lange, bis es ankommt, das Wasser der kleinen Dusche bleibt kalt (bis sich herausstellte, dass die Wasseranschlüsse vertauscht sind und man den amerikanischen Drehhebel nur ganz bißchen drehen darf und nicht wie sonst bis zum Anschlag). WiFi ist frei und im Bereich des Haupthauses zu empfangen. Das Reizvolle an der Unterkunft sind die einsame Lage in der Wildnis an einem See mit den Pferden und die familiären Gastgeber.

Der Strom wird in einer Überlandleitung von Williams Lake an das Grundstück herangeführt; die Leitung endet hier. Trinkwasser stammt aus eigenen Brunnen, etwa 100 m tief. Das Abwasser wird in fünf Septic-Tank-Anlagen mit anschließender Versickerung auf dem Grundstück beseitigt; Abfälle kommen auf eine weiter entfernte Deponie. Etwa alle 10 Tage wird 260 km nach Williams Lake zum Einkaufen gefahren. Problematisch sind die wiederkehrenden Waldbrände. Im vergangenen Jahr blieb Christoph alleine auf der Ranch zurück;  er hat vorgesorgt und Wasserpumpen und Feuerwehrschläuche bereitliegen. Das Evakuieren der Orte ist nicht so problematisch wie die Rückkehr, wenn die Regale und die Verkaufswaren in den Geschäften wieder bereitgestellt werden, die Tanks der Tankstellen wieder aufgefüllt werden müssen usw., nach einigen Tagen oder wenigen Wochen Evakuierungszeit.

Die Gäste sind fast alle Schweizer oder Deutsche. Alex ist in der Schweiz geboren, lebt seit 1993 in Kanada, verkauft Wasserflugzeuge gemeinam mit einem Geschäftspartner und baut auf der Terra Nostra Ranch gerade für Wasserflugzeuge eine Auffahrrampe aus Metallelementen, die während des Zweiten Weltkriegs hergestellt wurden und die beide mit zwei Pickups aus Kalifornien hierher gebracht haben und montieren; er ist seit 2001 kanadischer Staatsbürger, zusätzlich zu seiner schweizerischen Staatsbürgerschaft und vor die Wahl gestellt, würde er Kanada wegen der vielen Möglichkeiten wählen. Als Kind ist er bei Großeltern in Mühlheim an der Ruhr spazieren gegangen.

Edith aus der Nähe von Tübingen ist gemeinsam mit ihrem Mann Frank unterwegs. Sie haben drei Töchter, einen Dalmatiner, eine Hündin, übernachten fünfmal, fahren weiter nach Bella Coola und nehmen von dort die Fähre nach Vancouver. Beide haben eine Zeitlang in den USA gelebt.

Margot und Richard kommen aus Zürich. Und dann sind da noch Madeleine und Assan.

Nach dem Essen mit 8 Gästen holte der Koch Michael seine Gitarre und es wurde gemeinsam gesungen: Country Rose, Über den Wolken, Das alte Haus von Rocky-Donky, Wenn wir erklimmen, Lustig ist das Zigeunerleben, Yesterday, House of the rising Sun, u. a., sehr launig. Alles geht sehr entspannt zu; entnommene Getränke werden in eine Strichliste eingetragen. Kanus liegen zum Fahren auf dem Clearwater Lake bereit (der See heisst hier genauso wie an der 500 km zurückliegenden Station).

Zum Abend sonnig-bewölkt und windig, etwa 14 ºC. Einige wenige Mücken.